Erkenntnisse aus dem Relaunch einer Website

Nehmen wir einen fiktiven Kundenauftrag. Eine Website aus den 70er Jahren – oh pardon – Ende der 90er Jahre soll renoviert werden. Ende der 90er Jahre, wir erinnern uns. Der Netscape Browser wurde gerade zu Grabe getragen und Layout Tabellen galten bei Insidern nicht mehr als chique, Layer waren out. 1-Pixel Gifs wurden nicht mehr gebraucht. Dafür kamen dann clearer <span class="clearer"></span> – und so lustige Ideen wie runde Ecken. Auch hier – wir erinnern uns – es war vor CSS3. Es gab noch keine runden Ecken. Doch erfinderische HTML und CSS Hacker machten solche Effekte mit lustiger DIV-Suppe möglich.

<div class="SPECIAL_container_all neutralColor">
<div class="SPECIAL_container_top">
<div class="SPECIAL_container_topright"></div>
</div>
<div class="SPECIAL_container_cont"><div class="S_padding">
<h1><span style="color: #888888;"><strong>TERMINE 1999</strong></span></h1>
<p><span style="color: #000000;"><span style="background-color: #ffcc00;"><strong><em><a href="#">Der Terminplan 1999 ist online!!!</a></em></strong></span></span></p>
<p><span style="color: #000000;"><span style="background-color: #ffcc00;"><strong><em><br></em></strong></span></span></p>
</div>
</div>
<div class="SPECIAL_container_bottom">
<div class="SPECIAL_container_bottomright"></div>
<div class="S_bottomCorrection"></div>
</div>
</div>

Ich galt damals schon als Exot. Ich habe mich nur experimentell an solchen Konstruktionen versucht und sie dann in der Praxis verworfen. Dennoch wurde den Kunden so Ideen wie Wiederverwendbarkeit von Code und Trennung von Inhalt und Layout verkauft. Kunden fanden es cool und haben tief in die Tasche gegriffen, um im Internet en vogue zu sein – mit runden Ecken und DIV-Suppe.

Heute, mehr als zehn Jahre später, macht jeder Browser runde Ecken mit links. Eine Zeile CSS reicht:

border-radius: 10px;

Das war’s. Dahin die schöne Pracht und nichts besonderes mehr. Und die runden Ecken? Nach und nach verschwinden sie von den Seiten – klammheimlich. Der ganze Spuk wird dann als Relaunch verkauft – gegen viel Geld.

Was lernen wir daraus? Nicht jeder Hype muss nachgeäfft werden. Nicht alles, was heute als super, toll und klasse durchs Netz geistert hat auch wirklich einen Nutzwert für den Betrachter. Ich baue grade mit Mühe den ganzen Quatsch aus dem Code wieder aus, weil schlicht unnötig. Der Code wird schlanker, wird schneller geladen und schneller gerendert. Wird leichter wartbar.

Neu bauen oder renovieren

Natürlich ist ein Neubau attraktiv. Man kann alles neu planen, Räume dahin machen wo man glaubt dass sie hin gehören. Und vor allem: neu designen. Andere Farben, Schriftgrößen, die neuesten Erkenntnisse des Webdesign können in einen Neubau einfließen. Als Stichwort: Parallax Effekte. Ist das cool?

Es gibt genauso wie beim Hausbau auch Argumente gegen einen Neubau einer Website. So sind vom Programmierer des alten Gebäudes viele Ideen eingeflossen, die sich über die Jahre bewährt haben. Das müsste quasi alles neu gedacht und neu gebaut werden. Dann wird jedes Stückchen Inhalt geprüft und überdacht und neu getextet. Der Aufwand ist unter Umständen beträchtlich und rechnet sich kaum. Viele relaunchte Websites bieten für den Betrachter nur unwesentlichen Mehrwert. Wenn eine Seite funktioniert, also vom Besucher angenommen wird, so gibt es keine echten Argumente für einen Neubau.